Nach dem Ablegen in Borensberg tuckern wir nur wenige Meter und sind bereits auf dem Borensee. Das Wetter spielt sehr gut mit, die Brise kommt zwar aus West, aber vorm Kreuzen ist uns ja nicht bang. Das Schöne daran: Man sieht wirklich etwas vom Revier, da man dicht an die Ufer heranfährt. So geht es hin. So geht es her. Auf einmal fühlt es sich aber irgendwie komisch an. Das kennt wohl jeder Bootseigner: Man entwickelt ein instinktives Gefühl für das Geschwindigkeitspotential und die Bewegungen des eigenen Bootes. Passen äußere Bedingungen und diese unbewusste Wahrnehmung nicht zusammen, wird man stutzig. So auch jetzt – wir sind zu langsam für den Wind. Während ich noch aufmerke, fängt die Pinne leicht an zu zittern: Wir haben uns wohl offensichtlich etwas eingefahren. Fischerfähnchen sind weit und breit keine, aber Büschel mit Kraut habe ich schon auf den letzten Kanalmetern gesehen. Also nehmen wir Fahrt raus, segeln sogar einige Meter rückwärts und siehe da – es läuft wieder.
Das Südufer des Sees weist mehrere charakteristische Landzungen auf, die man beim Kreuzen berücksichtigen sollte. Neben dem offensichtlichen Hindernis wirken diese baumbestandenen Finger auch auf den Wind ein. Hinter einer dieser Landzungen taucht nun ‚Gas Pirate‘ auf – wieder einmal vor Anker. Einige kleine Kugeln auf der Wasseroberfläche deuten auf Badespass hin. Die machen das echt richtig! Wir aber so gesehen auch – segeln auf dem Kanal, wo immer es sinnvoll und möglich ist. Schliesslich geht es um ‚Birgittas Udde’ herum und wir landen am Fuss der Schleusentreppe von Borenshult. Segelbootpartie! (Dazu formen Helenes Hände eine kleine schaukelnde Nussschale…)
Unsere Schleusenwärterin Rebecka begrüßt uns sehr lieb auf Deutsch und besteht auch darauf, dass wir nicht ins Englische wechseln – sie möchte jede Gelegenheit zum Üben nutzen. Da nimmt sie sich auch kurz Zeit für ein privates Gespräch. Abgesehen davon erinnert sie uns total an unsere Freundin Tine, die zu Hause auf unseren Hausflur und unsere Post aufpasst. Gute Gelegenheit, einmal ganz herzlich zu grüßen und Danke zu sagen, liebe Tine! Und überhaupt dem ganzen Mop! Wir freuen uns aufs Wiedersehen!
Diese Schleusentreppe ist nun Linis Revier, die die Arbeit an den Winschen übernimmt. Direkt vor uns in der Kammer leistet uns ein extrem unsympathisches schwedisches Paar mit einer älteren Malö Gesellschaft. Was sie so unsympathisch macht: Sie haben schon vor Schleusenbeginn irgendetwas zu meckern und das mit unserer lieben Rebecka! Uns kommt es so vor, als passt es ihm nicht, dass er am ungemütlichen Platz vorne in der Kammer schleusen soll. Prompt lässt er die erste Schleusung unterbrechen, weil es viel zu turbulent wäre. In der zweiten Schleuse fährt er dann nicht bis vorne vor, so dass für uns kaum Platz bleibt, die Vorleine auszubringen. Als unsere Leine sich dann an seinem völlig mit Ausrüstung vollgehängten Heckkorb verfängt, ernten wir auch noch böse Blicke – vorher war nur seine Frau das Opfer. Obwohl sie ebenfalls verkniffen wirkt, kann sie einem fast leid tun: Sie hat sichtlich Schmerzen und Probleme mit dem Fussgelenk. Aber der Herr kann ihr ja nicht einfach das Schiff überlassen und mal die Leinenarbeit machen!
Mit uns schleust noch ein Vater mit seiner jugendlichen Tochter auf einem Motorboot. Die junge Dame gibt sich zwar alle Mühe, ist aber mit der Vorleine ziemlich auf verlorenem Posten. Die ist eigentlich zu dünn und vor allem schon recht bissig. Deshalb bietet Lini von Boot zu Boot meine Hilfe an. Ich wechsele also nach dem Auflegen unserer Leinen in jeder Kammer zur anderen Seite und halte dort die Vorleine dicht. Endlich kommen auch meine Segelhandschuhe einmal zum Einsatz – die habe ich die ganze Tour noch nicht einmal benutzt! Am Gipfel der Treppe verabschieden wir uns herzlich von Rebecka, die uns noch einige Tipps gibt. Dann tuckern wir schnell in Richtung Motala, so lange die Brücken noch besetzt sind – vorbei am Grab des Kanalerdenkers und -planers Baltzar von Platen. Unterwegs macht es einen seltsamen Ruck, obwohl wir in der Kanalmitte fahren. Nach einer verwirrten Sekunde wird klar: Schon wieder Kraut am Wickel.
In Motala machen wir in Nähe des Hafens einen wundervollen Spielplatz ausfindig. Helene begeistert sich besonders für eine große Dampfeisenbahn, durch deren stählernen Kessel man hindurch krabbeln kann – und das tut sie ganz mutig sogar alleine! Spätestens jetzt ist klar: Hier bleiben wir noch einen Tag. Das Wetter hat an dieser Entscheidung auch seinen Anteil, weht es am nächsten Tag doch ziemlich kräftig unter einem von dahin jagenden weißen Wolken bedeckten, heiteren Himmel. Helene und Lini treffen auf dem Spielplatz eine sudanesische Familie, die in Nordschweden Zuflucht vor den gefährlichen und chaotischen Verhältnissen in ihrer Heimat gefunden hat. Obwohl sie bestimmt nicht besonders viel besitzen, schenken sie Helene ein Spielzeug, das sie besonders toll fand. Unsere kleine Familie beeindruckt dieses Erlebnis und regt zu intensiven Gesprächen über die Offenheit der schwedischen Gesellschaft an. So nehmen wir es zumindest diesen Sommer entlang unserer Route wahr: Hier scheint Integration kein Fremdwort, symptomatisch dafür fallen uns sehr viele gemischte Paare auf. Zum Abschluss des Hafentages gönnen wir uns noch ein Soft-Ice – im Windschatten der Eisbude suchen wir das Verhältnis von Abendsonne zu Seebrise zu maximieren.