Schon kurz nach dem Aufwachen brennt in Sandvik die Sonne vom Himmel. Es ist einfach nur heiß. Und im Hafen ist weit und breit kein Schatten zu sehen. Obwohl wir schon vor Tagen festgestellt haben, dass die Flucht auf die See das einzig Sinnvolle bei diesem Wetter ist, halten uns noch diverse Erledigungen fest: Die Vorräte müssen ergänzt werden. Und Helenes Hosen sind allesamt dreckig – kein Wunder, hat sie doch so ziemlich jeden Hafen damit krabbelnd erlebt. Während mich die Hitze vor allem durch den Gegensatz zur Supermarkt-Klimaanlagen-Kälte erwischt, trifft Lini fast der Schlag während sie sich auf dem Steg in der prallen Sonne der Handwäsche widmet. Kein besonders guter Start in den Tag. Der auch noch ein Geburtstag ist.
Endlich ist dann alles erledigt und wir machen unter Segeln los. Der Wind kommt immer noch aus Norden aber diesmal sanft, die Welle ist spielerisch und die Temperaturen sehr sehr angenehm – da hebt sich die Laune doch unglaublich schnell. Die ‘EigenArt’ geht bei solchen Bedingungen freiwillig in den Gummistropp-Autopiloten-Modus über und der Blick kann über den Kalmarsund gleiten. Nördlich von uns erhebt sich der Nationalpark der ‘blauen Jungfrau’ aus den Fluten und erinnert ein wenig an den Dornbusch. Unglaubliche Fernsicht an diesem Tag. Im Süden ziehen langsam Vällö, Runnö und einige kleinere Inseln vorbei. Traumhaftes Segeln, wie im Rausch.
Wir haben zwar kein festes Ziel an diesem Tag, doch ein Wunsch brennt schon lange in uns: Endlich Ankern! Ist das schliesslich doch der Inbegriff der Ruhe und Freiheit: Ein Boot, unerreichbar vor Anker in einer malerischen Bucht. Und kostengünstiger ist es auch noch, zahlen wir doch in Schweden grundsätzlich das gleiche Hafengeld wie die großen Boote. Wir schlagen also den von Heiko geborgten Törnführer (herzlichen Dank!) auf und finden genau vor unserem Bug zwei Empfehlungen für Naturhäfen – tief ins Landesinnere eingeschnittene Buchten, die deshalb gut geschützt sind. Die Entscheidung fällt für Kiddeholmen, da die Ansteuerung wesentlich entspannter ausfällt und die Lage auf dem Kartenbild interessanter erscheint.
Kurz vor der Einfahrt kommen die Segel runter und die Anspannung steigt. Das dort eine Lücke zwischen den Inseln ist, sieht man sehr gut. Aber ob das auch wirklich reicht??? Selbst in der Skizze im Buch ist für die Durchfahrt keine Tiefe angegeben. Also gaaaaanz langsam. Zu beiden Seiten kann man fast nach den Steinen greifen. Dann sind wir durch und die Bucht öffnet sich vor uns in zwei Armen nach Westen und Süden. Wir wenden uns südlich, während wir besprechen, wo wir uns hinlegen. Auf einmal sackt die Tiefe im Echolot ab (das erste Mal benutzt dieses Jahr). Bis in den kritischen Bereich. Es macht kurz und unaufgeregt “Bummm”. Wir haben ersten direkten Landkontakt mit Schweden! Es reicht aber glücklicherweise nicht einmal für ein Nicken des Bugs, dann sind wir sofort wieder frei und die Tiefe steigt wieder. Es gibt einen schönen Spruch, der diese Situation beschreibt: “Es gibt zwei Sorten von Seglern: Diejenigen, die schon einmal Grundberührung hatten und diejenigen, die lügen.” Peinlich nur: Der Stein war doch tatsächlich eingezeichnet! “Mit der Aufmerksamkeit sollte man nicht schon zwei Schritte weiter sein”, nehme ich mir für die nächsten Wochen vor.
Aber das Abgelenktsein fällt hier auch überhaupt nicht schwer: Die Bucht ist einfach malerisch und bietet unheimlich viele Reize. Kleinere und größere Inseln umgeben sie, zum Teil bewaldet oder auch kahle flache Felsen. Tiefer in der Bucht scheint eine Badeplattform vertäut zu liegen. Oh nein, sie bewegt sich auf uns zu. Sehr geil, eine motorisierte schwimmende Terrasse! Wir tauschen mit dem Skipper Komplimente aus und freuen uns über die freigewordene Mooringtonne in der Mitte der Bucht: Wir brauchen nicht einmal das Ankergeschirr anfassen – das ist mal definitiv ein Geburtstagsgeschenk!
Sofort nach dem Festmachen begeben wir uns an den zweiten Teil des Plans: Banana-Boot auspacken, aufbauen und mit Helene zum Krabbeln an Land rudern. Denn in der Hoffnung, öfter vor Anker zu liegen, haben wir die ‘EigenArt’ mit einem faltbaren Beiboot ausgestattet. Es hat seinen Platz unter der Steuerbord-Koje. Deshalb ist natürlich einiges an Aufwand nötig, um es da raus zu bekommen. Es geht jedoch erstaunlich schnell, die gesamte Koje leer zu räumen und alle Gegenstände inklusive aller Polster und Auflagen irgendwo anders zu verstauen. Was den Aufbau des Bootes angeht, bin ich besonders gespannt. An Land habe ich das mehrfach ausprobiert – aber ob das an Deck der ‘EigenArt’ hinhaut? Keine zehn Minuten später bin ich schlauer: Es geht! Sehr viel besser als befürchtet. Auf dem Vorschiff passt das sogar ziemlich gut.
Und dann erfolgt die erste Fahrt: Wir halten auf einen Landvorsprung zu, der sich sodann als Insel entpuppt. Volltreffer! Denn Helene braucht nicht viel Platz für einen Landgang! Und irgendwie ist das einfach passend. Wir machen die drei Felsen ganz schnell zu unseren: Pflücken Blumen, sammeln Beeren und lesen Kienäppel auf. Lini rudert zum Kochen zurück und holt Helene und mich dann zum Essen wieder ab. Das ist einfach nur ganz großes Kino!
Während Helene und Lini ihr Bettritual abhalten, schnappe ich mir die Riemen und erkunde ein wenig die Bucht: Eine große schottische Ketsch liegt ein paar Kabellängen weiter nördlich und ist mein erstes Ziel. Ich erfahre, dass sie richtige Grundberührung in der Einfahrt hatten und als nächstes nonstop nach Christiansø wollen. Nach dem kurzen Schnack wende ich mich dem Südende der Bucht zu: Dort sind recht lautstark einige junge Männer eingetroffen, die den Freitag und den Sommer feiern. Ich werde auf einen Schluck an Land gerufen. Es stellt sich heraus, dass keiner von ihnen gebürtiger Schwede ist, sondern alle aus unterschiedlichen Ländern des Balkan stammen. Kurios. Während meines geschenkten Bieres unterhalten wir uns sehr angeregt über Gott und die Welt. Dann kehre ich an Bord zurück. Vorerst.
Denn Lini zieht es nach kurzer Zeit auch schon auf die Koje hinab. Da könnte ich doch eigentlich… Ja, genau, das mache ich: Schnappe mir die Gitarre, zwei Dosen Carlsberg und pulle zurück zu den schwedischen ‘Balkanesen’ – ab dann verschwimmt alles zunehmend in Dunst und Nebel. Vor allem der kroatische Selbstgebrannte aus Pflaumen hat es in sich. Schmeckt dennoch fabelhaft! Ein Detail sei noch vermerkt: Ich schaffe es einige Stunden später trocken und vor allem leise zurück an Bord und geniesse dort noch für einen Augenblick die Morgenröte. Fantastischer Geburtstag! Absolut einmalig!
Am Samstag verlassen wir nach einem Müsli-Frühstück notgedrungen die wunderbare Ankerbucht: Unsere Batterie schafft es immerhin zwei volle heiße Sommertage hindurch, die Kühlbox zu versorgen – doch mitten in der Nacht war Schluss. Also geht es zum Aufladen und zur Verproviantierung nach Figeholm. Ach ja, Wäschewaschen muss auch mal wieder sein. Auf dem Weg ziehen wir das Banana-Boot hinterher, um es nicht wieder verstauen zu müssen. Das geht erstaunlich gut, wenn es natürlich auch merklich bremst – selbst ohne eine fotografierende Lini darin. Vor allem, da der Wind das erste Mal seit über einer Woche schwächelt und dann östlich dreht. Glücklicherweise zum perfekten Zeitpunkt, so dass wir einen schönen Kringel um die Insel Furön segeln können. Unter Genua kommt auch endlich wieder Fahrt in die Sache. Sofort zu hören am Geplätscher der geschleppten Banane. Die Ansteuerung von Figeholm lässt einiges für die nächsten Tage erhoffen, denn spätestens ab hier beginnt der wunderbare Schärengärten Ostschwedens…