Das verabredete Klopfen des norwegischen Nachbarn fällt unüberhörbar aus. Dafür hat er sich aber wirklich bis zum letzten Augenblick Zeit genommen: Es ist schon 4 Uhr und bevor ich draussen bin springt seine Maschine an und die Festmacher werden losgeworfen. Unser Plan ist es, kurz seine Mooringleine zu übernehmen, im Schleichschritt alle notwendigen Vorbereitungen an Deck zu treffen und ‘Knöpfchen’ möglichst weiterschlafen zu lassen – mindestens bis wir draussen sind und die Segel hochgehen. Das Wetter scheint noch angenehm zu sein – die Sonne geht sichtbar in Richtung unseres Ziels auf und der Wind ist kaum wahrnehmbar. So entscheiden wir uns für die große Genua und binden los. Der japanische Knatterfrosch schiebt uns durch die so lange für uns verschlossene Hafeneinfahrt auf die Ostsee hinaus. Endlich fällt die Hafenfäule von uns ab. Und wenn es nur für lumpige 13 Seemeilen ist.
Die Genua steigt so leise wie möglich am Vorstag empor und kommt nach kurzem Schlagen zur Ruhe – Helene schläft weiter, perfekt. Lini dreht sich kurz darauf um und entdeckt sehr bedrohliche Wolken über Land. Langsam setzt der Wind ein, wird stärker, stärker und noch stärker. Angesagt war das für frühestens 10 Uhr am Vormittag. Na ja, wer`s glaubt… Binnen einer halben Stunde steht eine satte 4, gefühlte 5 – zu viel jedenfalls für die Genua. Toll, die muss jetzt runter und ist natürlich schon nass. Lini schlägt wieder unsere neue Arbeitsfock an – wir scheinen irgendwie nur noch zwei Vorsegel zu brauchen, warum schleppen wir dann fünf mit uns rum??? Aber Helene schläft weiter, perfekt. Die offensichtlichen Regenschleppen verfehlen uns weitgehend, ebenfalls perfekt. Viele würden bei solch einem Wetter sofort umdrehen. Aber uns macht Segeln glücklicherweise auch Spass, wenn es auf einem stampfenden, aufgewühlten Amwindkurs stattfindet – solange Helene mitspielt. Und die schläft unter Deck. Und schläft und schläft, perfekt. Erst kurz vor der Einfahrt zwischen die Erbseninseln wird sie wach und möchte gleich spielen. Das ist mal ein segeltaugliches Mädchen und wir einfach verwöhnte Segeleltern!
In der Hafeneinfahrt bin ich kurz irritiert: Träume ich die Segelreise eines anderen? Genau hier auf Christiansø hat Bastian Hauck damals die ‘Gratitude’ getroffen und sich wenig später in die Schiffsköchin verliebt. Erzählt in einem der sehenswertesten Törnfilme überhaupt. Genau dieser Traditionssegler aus Göteborg liegt jetzt auch hier, ein netter Willkommensgruß. Beim Festmachen werden wir von Päckchen zu Päckchen weiter verwiesen: Die wollen alle noch los – ja, hier am Ende der Welt haben die meisten definitiv keinen aktuellen Wetterbericht zur Hand, der einen von solch einem Unsinn abbringt 😉 Denn kaum sind wir fest, verdunkelt sich der Himmel und das Gebläse geht an. Ich schaffe es gerade noch, das Cockpitzelt aufzuziehen, dann schüttet es los. Noch einmal Danke an Uwe für die Leihgabe!!! Wir verbringen den kompletten Tag unter Deck, wo die passionierte Ergotherapeutin am Nachmittag mit vollem Aufgebot gegen Helenes Bootskoller ankämpft: Unser kombiniertes Wohn-Schlaf-Koch-Navigations-Klo verwandelt sich in einen Abenteuerspielplatz mit Rutsche (Trittstufe), Schaukel (Tragetuch) und Ausguckturm samt Fernglas (Klorolle). Glücklicherweise haben wir jede Menge Schlaf nachzuholen und das geht bei diesem Wetter sehr gut.
Am nächsten Morgen zeigt sich das Wetter wieder von seiner besten Seite. Im Sonnenschein frühstücken wir im Cockpit und Helene erfreut sich an dem im Hafen lebenden Basstölpel. Der gehört hier eigentlich nicht her, hat sich aber zu seinem Unglück unsterblich in eine der Stromsäulen verliebt und ist deshalb seiner Liebe folgend hier ansässig geworden. Seine Zuneigung drückt er mit zärtlichem Herumschnäbeln an den CEE-Steckdosen aus. Zum Wohlgefallen aller Tagestouristen. Seine Liebesgesänge sind dagegen weniger lieblich – Reibeisentölpel trifft es eher.
Dann setzen wir uns ein ehrgeiziges Ziel: Zwei Inseln an einem Tag zu umrunden – zu Fuss. Leicht möglich ist das auf den Erbseninseln, einige winzige Steinbrocken ein Stückweit nordöstlich von Bornholm und zugleich der östlichste Punkt Dänemarks. Über Jahrhunderte als Seefestung ausgebaut und verteidigt, sind sie heute ein lebendes Freilichtmuseum. Und absolut besuchenswert – wer Hiddensee mag, dürfte sich auch in Christiansø und Frederiksø unsterblich verlieben. Innerhalb weniger hunderte Meter liebliche Haine, kräuterbestandene Wiesen und schroffe Felslandschaften. Dazu die geschichtsträchtige und phänomenal erhaltene Festungsanlage. Die Tatsache, dass dieser dänische Vorposten ganzjährig von einer 90-köpfigen Gemeinde bewohnt wird – mit eigener Schule! Wir nehmen uns zwar nur diesen einen Tag Zeit, aber wir sind uns sicher: Wir kommen wieder – egal ob auf eigenem Kiel oder mit der Fähre. Vielleicht können die Photos besser als Worte beschreiben warum.
Abends verwöhnt uns Lini mit Kartoffel-Möhren-Reibekuchen und einem selbstgezauberten Schinken-Lauch-Salat. Phantastisch. Im Anschluss revanchiere ich mich und lasse den Tag mit einigen Liedern Gesang zur Gitarre ausklingen. Neben uns liegt auf der einen Seite ‘Koi’, ein 11m-One-Design, eine absolute Rennpfeile ohne Seezaun, Bug- oder Heckkorb, dafür Segelfläche ohne Ende. Bewegt wird das Geschoss von einem Pärchen in den mittleren Jahren aus Berlin. Absolut gekonnt und super souverän haben sie morgens unter Segeln angelegt. Sie sind über Nacht aus Sassnitz gekommen!!! Bei mindestens 7 Nummern und 2-3 m Welle – ohne Fock und mit 2. Reff im Gross – und mit Fische füttern unterwegs. Wahnsinn. “Bei 14 Knoten drücke ich auf die Bremse!” Gut, ja, würde ich über die ‘EigenArt’ auch gerne sagen können. Jedenfalls liegt auf der anderen Seite das IF-Boot ‘bergamotte’ mit einem Hamburger Pärchen in unserem Alter. Wir alle haben den Plan am nächsten Tag nach Utklippan in Schweden überzusetzen – allerdings mit deutlichen Unterschieden hinsichtlich der voraussichtlichen Reisedauer 😉