Im April 2010. Zum zweiten Mal ruft unser Kumpel Erik an und schon wieder im nicht ganz passenden Augenblick. Stecke gerade knietief in einem Audio-/Video-Kabelsalat. “Ich hab` Dir doch neulich von dem Boot erzählt. Also mein Vorschoter Mathias ist da schon mal mitgesegelt – sportlich und sehr seefest für die Größe, meint er.” Zwischen einem Wust von XLR-Kabeln taucht endlich die gesuchte DI-Box auf. Ich versuche dennoch dem zwischen Schultern und Ohr klemmenden Gespräch zu folgen: “Das wäre echt was für Euch, mit der Malerei. Das müsst Ihr einfach kaufen. Hippie-Eigner, Hippie-Boot…” An der Pause erkenne ich, dass ich wohl jetzt antworten soll. Doch zwischen meinen Zähnen steckt der frische 9V-Block für die DI-Box, wenn ich den jetzt in den Kabelsalat fallen lasse. “Mmmh, hich `hau hir has ha him Hetz han, Hequia hag`t hu???” nuschele ich an dem Energieriegel vorbei. Erik entziffert die Lautfolge korrekt als Versprechen, mir diese Tequila mal im Netz anzuschauen, und legt sich verabschiedend auf. So, aber war das zwischen meinen Zähnen nun die volle oder die leere Batterie?
Szenenwechsel. Knapp zwei Wochen später. Ich steige taumelnd von “Rauch”, meinem blauen italienischen Radrenner aus den tiefsten 80igern. Schaue mir die Szenerie des MYCR vor mir an: Ein Backsteinschuppen mit 3 alten Holztoren. Vor dem Rechten klopft jemand auf einem alten Kahn fleißig Rost. “Interessant, welche Hobbies sich Leute so aussuchen” denke ich. Noch bin ich einfach nur unbeteiligter Zuschauer. Der Kahn steht auf einem abenteuerlichen Schienen-Slipwagen, dieser wiederum auf einer Verschiebebühne, mit der man die jeweils unter den Toren im Schuppen verschwindenden Gleise erreichen kann. Diese lokschuppenartige Anmutung ließe Eisenbahner-Romantik aufkommen, wenn ich hier nicht verabredet wäre. Den Grund meines Hierseins kann ich schon hinter dem angelehnten linken Tor hervorlugen sehen: Bunte Malerei auf einem sexy Yachtpürzel.
Heiko, der mir das besagte Boot zeigen will, rollt in dunkler Limousine vor. Größer könnte der Kontrast nicht sein: Ich im abgeranzten Fahrraddress, er im schwarzen Business-Mantel direkt aus dem Büro. Sympathisch sind wir uns trotzdem gleich. “Ist das Boot von meiner Freundin Caroline, die war damit einhand bis Bergen hoch!” Das schafft Vertrauen in die Seetüchtigkeit. “Seit sie es mit ihrer Künstler-Mutter so bemalt hat, ist die ‘EigenArt’ das meist fotografierteste Boot der Ostsee!”, grinst Heiko. “Oho, im Hafen Zeche prellen ist damit wohl nicht” schießt es mir durch den Kopf. Nicht dass ich so etwas vorhätte… “Aber nun kommt unsere zweite Tochter, da behalten wir doch lieber mein Boot.” Er deutet hinter sich: Dehler DB2, Sportflunder mit dem Namen ‘Exorbitante’. “Die bekommt nächste Woche die Silhouette einer tauchenden Meerjungfrau aufgeklebt – wo sie doch schon ‘Tante’ genannt wird…”. Ganz sicher kommt die ‘EigenArt’ aus einer guten Familie!
Erste Eindrücke die bei mir haften bleiben: Sehr tiefe, unten breit auslaufende Kielflosse, jollenartiger flacher Rumpf, klassische und doch moderne Linien. Das verspricht flottes und zugleich komfortables Segeln. Innen sehr rudimentärer Ausbau, aber für 7,20m erstaunlich geräumig. “Gegen unseren letzten Fahrrad-Urlaub definitiv eine Menge Luxus: Gaskocher, Waschbecken, Radio, gepolsterte Liegen, trockener Stauraum” reihen sich in meinem Geiste die Argumente aneinander. Ansonsten die Patina von 40 Jahren Seesegeln. Das geht an keinem Boot spurlos vorbei. Ein Blick unter die Bodenbretter: “Ist absolut dicht. Den Kiel halten doppelt so viele Bolzen wie auf unserer Großen. Bewegt sich keinen Millimeter” versichert mir Heiko. Bei alten GFK-Booten ist man ja doch ein bisschen skeptisch. “Mit Pött und Pann. Ist wirklich alles mit dabei. Segelfertig!” Spricht`s und klappt ein Polster hoch, unter dem ein guter Stoss Bändsel sichtbar wird. In den Hundekojen stapeln sich die Segelsäcke. ‘Überkomplett’ heißt das wohl im Maklerjargon.
“Na ja, ich wollte ja nur mal gucken. Wir wollen ja eigentlich gar kein Boot kaufen” versuche ich auf dem Rückweg meine innere Unruhe in Schach zu halten. “Ob wir überhaupt so viel Zeit haben für ein seegängiges Boot? Und die ganze Arbeit erst!” Aber ich bin wohl schon auf verlorenem Posten, als ich abends Lini ein paar Fotos von meinem Besuch und einige ‘beauty shots’ unter Segeln im Internet zeige. Malen gemeinsam an unserem ersten Segelsommer auf der Ostsee herum. Fühlen uns schon fast als Yachteigner, auch wenn die ‘EigenArt’ eher ein ‘Yächtchen’ ist. Und noch ist sie nicht unsere…